grau video

 

 

audio

 

text

 

lists project

30.03.2007
stagnation und himmelfahrt
von mascha schaman

jeder raum ein wartezimmer, das wurde mir schnell klar. und wie schön sie alle aussehen, die da warten, fast unerträglich ist das. aber ich will hier nicht klagen, nein, meine alten leidensliedchen singen heute andere und ich, ich singe nicht mehr. hin und wieder zieht mich das trällern der zeit in seinen musischen bauch, dann bin ich ganz geräusch, von geräuschen verdaut. das ist strophenloses, ungereimtes tönen, als würde man mit einem u-boot unter die haut der melodien tauchen, und dieses u-boot ist ein klavier ohne form, eine schwingende saitenqualle, in deren klingenden tentakeln man wippt. ein halbschlaf im unendlichen ohr.
irgendwann landet man als treibgut wieder im aufenthalt. in diesen momenten des strandens überkommt mich meist ein schmunzeln, auf dem ich mich erst einmal niederlasse, um auszuruhen. die fröhliche biegung, die meinen lippen entspringt, ist eine dankbare hängematte in solchen fällen. sie ist über den ungrund gespannt, eine sanfte luftschaukel vor dem nächsten tauchgang.
endlich zeit fürs auge, da sind sie wieder, harren aus und ahnen wenig von ihrer schönheit, sprechen viel. einige scheinen mir auf eine lösung für etwas zu lauern. ist der zeitvertreib vielleicht nur nebensache? oder ist er nährboden für die schon lange anstehende erfindung der gelassenheit? mir jedenfalls gefallen die kulissen.
ein „jippie“ rauscht mir durchs depot; ich glaube, ich bin so etwas wie ein tänzer. ja, auch taucher und pilot. meine heimat ist utopia, dort bin ich grenzsoldat. tagtraum am schlagbaum, diese worte schleuderte mir ein verbittertes kind entgegen, mit grauen haaren und einem rucksack voll kreativität, den hat es benutzt, um seine eltern zu erschlagen.
das konnte ich verstehen und schenkte ihm meine letzte axt. die axt geschultert, flanierte es schwerfällig gen wirklichkeit. trotz allem wahren die passanten hier draußen immer die fassung, warum sollten sie sie auch verleugnen, wo sie so lang daran gedrechselt haben. ich habe hier selbstbilder getroffen, wie sie keiner hätte zeichnen können und malte sie mir aus in meinem hirn, bis sie endlich nichts als farbe waren. manchmal ist zuviel abwechslung äußerst langweilig. da muß man planieren für eine reine, glatte oberfläche, denn eine artistische ruhe braucht platz.
mit meinen kollegen diskutiere ich in zeitlupe über das wahnsinnige lachen der geschichte, dabei sind wir einmal zu dem schluß gekommen, dass es gut ist, dass man sie nicht einsperren kann, die geschichte, und wir stimmten in ihr gelächter ein. jede kleinste faser unserer körper fing an, euphorisch zu brüllen. wir verstanden nichts und hörten alles, gratulierten uns bis zur erschöpfung, denn wir hatten, wie so oft, mal wieder geburtstag – das gebrüll in unseren adern ist eine notorische hebamme…

auch gott patrouilliert hier an seinen eigenen rändern, er ist ein effizienter lückenfüller, der routiniert die wunder moderiert und so die hysterie der wissenden vorläufig ein wenig ordnet, während diese über ihre textilen vorstellungsgebirge torkeln. eigentlich nimmt ihn keiner ernst, aber seine dienste werden gutwillig geduldet, solange der eifer der stolpernden passanten zwischenzeitlich auf ihm rasten kann. gott ist eine endlosschleife, in die man sich zeitweilig einklinken kann, das karussell, auf dem das scheitern seine ozeanischen gefühle schöpft. ungeduldig und müde verwettet sich wer kann. man setzt auf etwas anderes, weil der lockruf eines kleinen rausches die stimme der konsequenz unterläuft. kontrolle, kontrolle, mit dir kann man nicht feiern, du filigrane hexe, komplizin der gier. aber du, du wirst gefeiert im tick-tack des tagebaus. und das patrouillierende gottchen ist zum glück nur eine marionette an den bildungsfäden einer idee auf der laufbahn zum großen verstand. ein spielzeug mit dem man sich das spielen vorspielen kann.
es wimmelt hier von erschöpften übermenschen und flatterhaften kosmopoliten, die heimweh haben. sie sind der zukunft voraus, weil sie sich erfolgreich ihre nabelschnüre durchgebissen haben. ihr stil kontrolliert sich selbst und verkörpert die experimentatoren, verleiht ihnen tausend zwanghafte augen; neben jedem auge, ein auge, ein auge…
wer zuerst sieht, glänzt am besten. die äuglein jagen sich selbst, in ihnen reichern sich die verben an und versprechen, die larve des lichts zu entblättern. der blick: überführt ins script, auf dem der antifokus keimt. jede aussicht bebildert das archiv und ist seine denunziantin. immer wieder sind die register zu ziehen, um eben diese denunziantin für das saugende projekt zu gewinnen. ein integrativer lockruf der diensthabenden wortgruppen im leuchtturm, das muß die masche sein, um die doppelagenten ins kreisende sichtfeld einzuweben. denn die beschatteten interpreten führen ihr stück nur solange auf, solange sie auf der flucht sind. ihnen ein bild abzuringen, von dem aus man aufbrechen kann- das heißt wachen im auge der sprache. hier muß man eben manchmal die laufleinen der bedeutungen kappen, damit sich die horizonte verbiegen, für eine neue justierung der schauplätze. aber das übernehmen selbstverständlich die enthüllungskünstler, wenn sie nicht gerade mit ihrem lebensgefühl flirten. echte gefühle im separee- die einbildung kellnert gewissenhaft. jede durchreise braucht ihr kleinod, wo sich der transit feiern kann, wenn auch der genuß eine zerrende plackerei ist. wir wissen ja, die bilder kennen keine gnade, gerade wenn sie aus fleisch und blut sind.
von freiheit wird hier draußen glücklicherweise nicht gesprochen. und auch nicht von krieg und frieden. nichts langweiliger als frieden, nichts langweiliger als krieg! wenn ich hier auf der schwelle so meine runden drehe und die getriebenen ihr oevre passieren, dann sage ich mir oft, was es doch für ein glück ist, dass sie so bescheiden sind in ihrer geschmückten abgeklärtheit, zumindest, was das sogenannte alltägliche angeht. die banalen krämpfe der normalität haben sie scheinbar hinter sich gelassen. sie kämpfen woanders, das buchstabieren mir ihre gesichter wie das nachmoderne klimpern ihrer gesten. ich glaube ihr segensreicher lustverlust macht sie so amüsant, weil sie die unlust als eine neue lustigkeit verkaufen. hier wird gehandelt, was das zeug hält, mit unsichtbaren landkarten zur orientierung im bunten treibsand, dieser immer neuen erfolgsrutsche einer genialisch anmutenden spezies.

der verband der kosmischen deserteure rekrutiert seine mitglieder auf den sprachbrachen und verwaisten spielplätzen in den immergrünen jammertälern der vernunft. dort, wo die zukünftigen kreativsoldaten ihre möglichkeiten ausgelassen abgrasen und im völlegefühl ein tänzchen auf dem weiten parkett der heiligen ziellosigkeit abwalzen, schleicht sich oft die idee der grenzüberschreitung herum und agitiert im unausgesprochenen namen des verbandes das orientierungslose schöpfertum. und schon überholen sich die vorreiter im rennen zum nächsten picknick der flügellosen überflieger. die vom verband entsandte idee bleibt auf der strecke ihres stimulus’ . aber im haus der unterstellung, wo sich die zentrale des verbandes befindet, werden längst neue wellenlängen moduliert, die dem vollzug des unmöglichen einen schwingenden raum voller gewissheit liefern, in dem das große projekt mit seinen machern schweigsam kuscheln kann. die vereinigung des unvereinbaren im lustvollen stöhnen saftiger gleichgültigkeit, so lange der vorrat reicht. und das lieblingsleid ist im recht, wenn die weiche orgie wonnen verspricht.
nein nein, die ganze chose rollt bei weitem nicht reibungslos. jedes flüstern aus dem paradies müssen die passanten aus den mythen schwitzen, von denen sie belagert sind. besonders die nüchterne atmosphäre hier draußen sorgt für die heftigsten delirien. es gibt hier keine leitplanken und richtlinien, das wollen die eroberer auch nicht, sie kommen hier durch zur pflichterfindung, weil sie alle pflichten schon hinter sich gelassen haben, sie wollen den rhythmus ihres stammelns besiedeln, sie glauben nämlich, dass es sich nur darin leben lässt. für eine regel, die das prozessieren könnte, haben wir hier keine dichter, also gibt der fade puls der gelobten wut hier den takt vor. ekstase und halleluja aus dem presswerk der erkenntnis, das ist schwer zu machen, aber ein schickes kleidchen für die arbeitslose speerspitze ist das allemal. die muß nämlich auf dem zufall thronen, weil sie glaubt, ein wunder auszutragen, dass irgendwann aus ihren elementen schlüpft, damit sie mal wieder staunen kann.
benutzt deine zunge auch die richtige taktik in der feuchten konfrontation zwischen den mundwerken? der kuss ein kampfplatz der geschmeidigkeit, die liebe eine strategie, um das treue tier, das dich leckt, in deinen zirkus einzubinden? den schaum dosieren, die faltungen kalkulieren? wetterdienst der leidenschaft mit blick auf die ernte?
oh ja, seltsame fragen kursieren in der nachbarschaft und in den bunten laboren schläft höchstens die nacht. hinter dem ereignis rasseln die fakten durch den versuchsaufbau, verfolgt von athletischen schöpfern. organisierter denksport auf der körperhürde. wettkampfatmosphäre im okkupierten uterus. es ist lauwarm und die sekrete wollen entziffert werden, die entdecker steigen ein, um ihre souveränität zu ölen. der schnelle kopf hat niemals zeit hier in utopia, weil er das warten avantgardistisch wegturnen muß und liebe ist dabei nur ein vorposten auf dem weg zum ruhm, ein akzeptables kissen für die zwischenzeit.
divisionen von visionen laufen hier ein, um das ersehnte lustwandeln auf dem zenit von übermorgen zu trainieren. exotik aus gut sortierten fachgeschäften ist einzuweben in die demonstrative bescheidenheit der weitgereisten. wenn der durchmarsch kein tänzchen ist stellt dir die jury ein bein, denn schließlich ist das neue hier nichts neues, sondern die bittere norm, durchgesetzt vom selbstverständnis der artisten. mit jury meine ich lediglich die versammlung der einstellungen, durch die die akteure in erscheinung zu treten haben, damit sie sich erkennen. auch in sachen liebe heißt das, üben, üben, üben, sonst gewinnen die versuchskaninchen.
die maske der berufung zum höchsten muß das fleisch navigieren.
und selbst der staub im windschatten der rasenden armada einer inquisition sich unablässig perpetuierender initiationen wird durchs charakterkleid veredelt. jeder dreck birgt hier die möglichkeit eines kleidsamen ornaments. und weil der synaptische sog der unbeeindruckten talente unersättlich ist, sind sie gezwungen, ihre stumme übereinkunft mit dem ausnahmezustand immer weiter zu verzieren.
da sitzen sie in den foyers der ruhmeshallen auf dem kaleidoscode und häkeln die botschaften ins fangnetz ihrer zeichen. da deklinieren sich die unverstandenen auf der klaviatur der einsamkeit in den ausgeblichenen fluren ihrer erwartungen. das schweißt zusammen und schafft ordnung auf dem podest. da atmet man heimlich die vorsehung hinterm vorhang und lässt sich davor die narben waschen, vom vorsichtig tastendem auge der dummheit. nur, wer das unerhörte regularium inkarniert, diese infektiöse moral des unmoralischen, darf im kampf um stilgerechtigkeit die schwerter schwingen. die hingabe muß stimmen im echo der kritikerfreunde, den brüder und schwestern der inspirationalität.

wenige, ja, es sind wenige, die das zeug haben, auf der zerebralen brandung zu surfen und trotzdem ist der strand überfüllt. willkür nestelt am unbedingten sendungsbewusstsein der apologeten, die auf ihren wahrheiten ungestört in die raren nachschlagewerke der subversion gleiten wollen. unerträglich für sie, dass der rückenwind, in dem sie sich wähnen, so vielen anderen den bauch pinselt. aber die, die anderen, sind das denn nicht trittbrettfahrer und kopisten, simulanten der luziden kür der seltensten? der kitzel, den das geringschätzige publikum erfährt, nur ein winziger splitter der ausgeklügelten methode von ausnahmeerscheinungen?
die armen genies, wie sie so voller passion das ungeheuerliche illustrieren. und es werden ständig mehr, das schmälert den respekt und versetzt die aufopferungsvollen kreaturen in zugzwang unterm firmament ihrer pulsenden hemisphären.
der zeitgeist, dieses gespenst ohne gnade, souffliert totale machbarkeit und die mimen des unsagbaren komponieren mit dem teufel eine neue bibelmelodie. kanon und kanone bestimmen das geschäft.

mascha shaman
is a member of the
“schaum autorenkolleKtiv”
hosted at gedankenschmied-project
for questions and critics u may contact
directly schaum[at]gedankenschmied[.]net
internet:
schaum mixedmediamicromonuments